Warten auf Godot
Auf den Tod warten
oder Dank an meine Eltern
Kein Tag vergeht an dem ich nicht an ihn denke.
Und das erste Mal in meinem Leben kann ich das wirklich sagen.
Zurück in die Vergangenheit: Bei meiner ersten großen Liebe (das letzte Mal als ich mir das geschworen habe, jemanden niemals zu vergessen) hab ich mir insgeheim gewünscht, dass ich eines Tages sein kleines liebliches Gesicht vergessen würde. Ich wollte nicht abhängig von jemandem sein, der mich aus seinem Leben geschmissen hatte.
Aber dieses Mal und ihr wisst vielleicht von wem ich rede, weil einer meiner letzten `jeden Tag einen Brief` Blogeinträge genau von ihm handelte, mein Vater.
Also immer wieder habe ich Träume, die von ihm handeln. Meist sind es Erinnerungen an die letzen Monate, die ich mit ihm hatte. Ich bin dann geschockt von den realen Bildern, paralysiert für ca. einen halben Tag.
Aber gestern war das Gefühl anders. Und ich bin grad in einer Phase, in der ´anders´ einfach nur gut sein kann. Ich hatte Gedanken von verflossenen Freundschaften, und war glücklich darüber nicht von komischen Phantasien um meinen Vater herum heimgesucht zu sein. Allerdings war das auch nicht besser. Ich hatte Probleme einzuschlafen und zuckte ganz schrecklich beim Halbschlaf. Sogar meine Katze wollte nur weg von mir und meinen unkontrollierten Beinbewegungen.
Nachts im Bett, wenn man versucht zu schlafen, scheinen einem die Worte unendlich. Warum nicht aufstehen und all die 500 Seiten Gedanken aufschreiben, die einen gerade davon abhalten zu schlafen? Und dann tatsächlich, wenn man am nächsten Tag versucht zu rekapitulieren, was war, dann kommen nur zwei Absätze dabei raus. Es ist ein Graus. muhaha.
Also lasst mich euch erzählen, warum das Ganze.
Mein Papa war ein recht unnahbarer Typ, eigentlich so weit ich erinnern kann, war er sehr viel seltener für mich da als zum Beispiel meine Mama. Da ich eben damit aufgewachsen bin, erschien mir das immer recht normal. Mein Papa wurde dadurch zu einem selten gesehenem Mysterium. Nein, so schlimm war es auch nicht.
Meine Erinnerungen trügen sehr. Ich habe eine sehr verzerrte Wahrnehmung meiner Kindheit. Woran das liegt, werde ich so schnell nicht herausfinden können, davon bin ich überzeugt. Es war nämlich schon ein ziemlicher Schock für mich herauszufinden, dass es nicht allen so geht wie mir. Ich möchte sagen, dass meine Kindheit so schön, geschützt, gefestigt war, dass ich sie mit Träumen verbringen durfte. Also erst mit den Jahren fand ich heraus, dass meine Mama sehr darunter gelitten hatte zu sehen, wie ich zum Beispiel abends auf meinen Vater wartete, dass er von der Arbeit kommen würde um mit mir zum Besipiel Federball zu spielen. Aber lange Rede kurzer Sinn, ich erinnere mich weniger an die Enttäuschung darüber, dass er nicht zeitig nach Hause kam. Ich erinnere mich an seine entspannte, geduldige Art. Er genoss es mir Dinge zu erklären, sei es theoretisch, mathematisch oder praktisch. Er bastelte über Jahre an einem Boot, in unserem Keller. Das beste daran war, dass, das Boot in der fertigen Ausführung gar nicht durch die Tür passen würde um es ins Wasser zu bringen. Geiler Plan, tolle Lebensironie, die ich dann schon früh erfahren durfte.
Egal welche Frage ich hatte, mein Vater hatte immer eine Antwort und eine plausible dazu. Ich könnte ihn zu jeglichen Dingen befragen er hatte einen Schwall an Wörtern und Erklärungen für mich. Ich liebte es ihm zuzuhören und konnte mir gar nicht vorstellen etwas langweilig zu empfinden.
Es ist interessant, er war Ingenieur, bei einer angesehenen Firma in Offenbach, die es leider heute nicht mehr gibt. Er war also offensichtlich mathematisch und auch naturwissenschaftlich sehr begabt. Ich war das nicht. Aber wieviel kann man schon auf Schulnoten geben? Worauf ich hinaus will, ist dass meine Eltern einen tollen Job geleistet haben mir die Freiheit zu geben, die Talente zu entwickeln, die ich jetzt habe. Sei es meine musikalische Ader, mein Hang zu Worten und Sprachen, meine Kunst, Farben und Formen zu Papier zu bringen, mein Sinn für die schönen Dinge. Es war die beste Mischung aus Kunst und Wissenschaft, die ich je hätte erfragen dürfen.
Meine Schwester erwähnte zu einem Zeitpunkt, dass die Glorifizierung einer aus einem neutralen Blickwinkel betrachteten eher enttäuschenden Vaterfigur ein entscheidender Punkt in unser beider persönlichen Entwicklung und Geschichte wäre. So sehr habe ich mich noch nicht mit diesem Fakt auseinandergesetzt, aber gleich als ich es hörte, war es mir bewusst, dass es genauso sein musste. Die negativen Charaktereigenschaften werden und wurden immer zu ausgeblendet. Wobei ich nie eine besonders ausgeprägte rebellische Ader hatte. Will heißen, dass ich mich nicht soweit ich sagen kann gegen meine Eltern aufgelehnt habe. Ich habe eher keinen bevorzugt sondern beide als Individuen betrachtet.
Was kann ich euch noch verraten? Ich habe das Gefühl, ich bin erschreckenderweise schon sehr ins Detail gegangen und ziehe mich vielleicht an diesem Piunkt doch eher zurück als dass das hier noch ausartet.
Mich würde interessieren ob ihr euch an euer Kindheit erinnert? Und wenn ja, von welchem Alter an. Ich weiß, es gibt da Methoden seine Erinnerungen aufleben zu lassen. Ich habe nie etwas ähnliches ausprobiert. Ich weiß, ich erinnere mich an Situationen zu denen es Fotoaufnahmen gibt. Aber liegt das daran, dass mir Geschichten zu Fotos erzählt wurden oder erinnere ich mich aktiv an das Geschehne? Könnte ich selbst die Geschichte dazu erzählen oder müsste ich den Rat meiner Familie einholen?
Leben ist also nicht nur warten auf den Tod. Das Leben sollte nicht damit verbracht werden auf diesen gewissen Herrn Godot zu warten. Reflektiert man ein wenig und unweigerlich kommt man zu diesem Zeitpunkt, verbringt man seine Gedanken hoffentlich irgendwann mal mit Dank.
Es war an diesem wunderschönen Septembertag an dem ich ein Bild (ein handgemaltes auf der Tür des Schlafzimmerschranks, der schon seit meiner Kindheit existiert und uns Kinder in der Natur Schwedens zeigt) betrachtete und nicht anders konnte als Dank für mein wunderschönes Leben zu empfinden. Ich sagte es laut: Ist mein Leben nicht wunderschön? Da ist der Beweis. Alle Menschen in meinem Leben, alle Erinnerungen, alles was ich bis dahin erlebt hatte; alles ließ sich in diesem Bild betrachten. Und Du bist ein Teil davon!
Danke.
Bis bald
enjoy J
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